Oden

Das Schönste am Buchhändlerdasein ist, daß ich von meinen Kunden überrascht werde und durch sie Entdeckungen mache; kürzlich nannte eine von ihnen ihr Lieblingsbuch, das ich bislang übersehen hatte, denn David van Reybrouck, einem belgischen Historiker, geschätzt für Titel wie „Kongo“ und „Zink“, war ein dichterisches Werk doch kaum zuzutrauen? Es heißt „Oden“! 

Das sind bei van Reybrouck keine Gedichte, sondern kurze Texte, kaum länger als 5 Seiten, die sich Kunstwerken lobend widmen. Sie handeln von Gemälden und Installationen (Liebermann, Turner, Olafur Eliasson, Sam Dillemans), die auch abgebildet sind. Sie heißen „Ode an ein Schlachtfeld von Farbe“ oder „Ode an die Nonchalance“. Sie preisen wochenlangen Tanzperformances („Ode an Anne Teresa de Keersmaeker“), den 70 Meter langen Teppich von Bayeux, oft Musiker („Ode an das geniale Tastentüfteln“) und eine erstaunliche Auswahl von Schriftstellern in Wort und Bild (Fatma Aydemir, Sony Labou Tansi, Joost Zwagerman).

Als flämischer Vertreter des PEN-Zentrums begegnet van Reybrouck Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, denen er in kurzen, teils bewegenden Schilderungen („Ode an den schönsten Menschen“) huldigt.

Weiterhin gelingen van Reybrouck Schilderungen des privaten Lebens, die das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen entdecken, den Miniaturen eines Karl Ove Knausgard („Herbst“) vergleichbar, etwa in der Ode an die Ex, an das Trampen und das Nichtfotografieren, an das Risiko („lieber frei und verletzlich als sicher und ängstlich“) und das Zuhören.

Jeder Ode vorangestellt ist eine filigrane Zeichnung auf einem Bierdeckel, die neugierig macht.Van Reybrouck schreibt fast nie in Versen und Strophen, jedes Mal entlehnt er der Ode jedoch den Eindruck des Feierlichen und Würdehaften. Diese Oden feiern das Leben und verbreiten Zuversicht. In ihnen wirkt der Glaube an einen guten Ausgang, daher haben sie etwas ungemein Tröstliches für den Leser. 

Veröffentlicht hat David van Reybrouck seine Oden, die hier erstmals in Buchform versammelt sind, auf der crowdfinanzierten journalistischen Webseite De Correspondent, die es sich zur Aufgabe macht, den Leser nicht zwiegespalten und zynisch zurückzulassen. Er schreibt, daß Journalismus es wagen müsse, nicht nur kritisch, sondern auch lyrisch zu sein und empfiehlt, selbst Oden zu verfassen: „Es macht einen aufmerksamer, begeisterungsfähiger, neugieriger und dankbarer. Ode an die Ode, kurz gesagt.“

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